Hämostase

Was ist die Hämostase und warum ist sie wichtig?

Das hämostatische System verhindert signifikante Blutverluste nach Gefäßverletzungen.1 Dies erfordert eine koordiniert ablaufende Zusammenarbeit zwischen dem Gefäßendothel, den Blutplättchen sowie dem Gerinnungssystem.1,2

Im Körper besteht ein fein austariertes Gleichgewicht zwischen gerinnungsfördernden und gerinnungshemmenden Proteinen sowie zwischen fibrinolytischen (Fibrin auflösend) und antifibrinolytischen (die Fibrinauflösung hemmend) Eiweißen.1,2 Dadurch wird das Blut in einem normalen Strömungszustand gehalten.2 Nur, wenn es zu einer Verletzung gekommen ist und das Blut mit subendothelialen Strukturen (unterhalb der Gefäßinnenhaut) oder fremden Oberflächen in Kontakt kommt, wird das Gerinnungssystem aktiviert.3

Aufgaben des hämostatischen Systems sind

  • die Fließfähigkeit des zirkulierenden Blutes aufrechtzuerhalten,
  • Blutverlust durch Bildung von Blutgerinnseln zu verhindern,
  • Gefäßverletzungen zu reparieren.1

Der Wundverschluss entsteht in einem zweistufigen Prozess.1 Im ersten Schritt wird die Wunde schnell abgedichtet und die Blutung gestillt. Dieser vorläufige Gefäßverschluss, der durch Anheften und Verkleben von Thrombozyten zustande kommt, wird als primäre Hämostase bezeichnet.3

Bei der anschließenden sekundären Hämostase wird der Wundverschluss stabilisiert und die Verletzung kann abheilen.2 Die Blutgerinnung ist ein komplexes System: Unter dem Einfluss mehrerer Gerinnungsfaktoren entstehen Fibrinfasern, die die miteinander verklebten Thrombozyten zusätzlich vernetzen und stabilisieren. Später müssen die Gerinnungsfaktoren inaktiviert und das Fibrinnetz wieder aufgelöst werden (Fibrinolyse).2

Primäre Hämostase: schnelle Blutstillung

Bei einer Verletzung werden subendotheliale Strukturen wie beispielsweise Kollagen freigelegt. Kommen diese Strukturen mit Bestandteilen des Blutes in Kontakt, wird der Prozess der Blutstillung und Gefäßreparatur gestartet (s. Abbildung 1). Im ersten Schritt verengen sich die Blutgefäße.3 Anschließend lagern sich Thrombozyten an der verletzten Gefäßstelle an (Thrombozytenadhäsion) und verkleben miteinander (Thrombozytenaggregation). Es entsteht ein Thrombozyten-Thrombus oder auch „Weißer Thrombus“1, der das verletzte Gefäß rasch abdichtet.3

Neben den Thrombozyten spielt in dieser Phase unter anderem der Von-Willebrand-Faktor eine wichtige Rolle: Er ermöglicht die Bindung der Blutplättchen an das verletzte Gewebe und ist somit an der initialen Abdichtung der Wunde beteiligt.2

Anschließend werden die Thrombozyten durch Fibrin vernetzt. Das Protein Fibrin entsteht im Rahmen der sekundären Hämostase als Folge der Gerinnungskaskade.1

Abb. 1: Schematische Darstellung der Hämostase

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Copyright Dres. Schlegel + Schmidt Med. Kommunikation GmbH

Sekundäre Hämostase: dauerhafte Blutstillung

Bei der sekundären Hämostase laufen in einem komplexen Prozess nacheinander verschiedene enzymatische Reaktionen auf der Oberfläche von aktivierten Thrombozyten und Endothelzellen ab.4

Die Blutgerinnung kann über zwei Wege initiiert werden, die bei Gerinnungsfaktor X (FX) zu einer gemeinsamen Endstrecke zusammenlaufen (s. Abbildung 2).4

Die sekundäre Hämostase beginnt mit Aktivierung der Gerinnungskaskade:

Der extrinsische Weg startet umgehend am Ort der Gefäßverletzung. Die Wunde bringt das Blut in Kontakt mit dem sog. Tissue Factor, einem Eiweißmolekül, das von verletzten oder zerstörten Zellen freigesetzt wird.3 Durch diesen Kontakt wird der im Blut zirkulierende Gerinnungsfaktor VII (FVII) aktiviert (FVIIa), der wiederum FX in seine aktive Form (FXa) umwandelt.3

Der intrinsische Weg ist eine länger andauernde prokoagulative Reaktion, die die Gerinnung verstärkt und aufrechterhält.3 Die in einer Kaskade ablaufende Aktivierung der Gerinnungsfaktoren XII, XI, IX, VIII führt ebenfalls zu Aktivierung von FX.3 Initial können entzündete Gefäßinnenwände beteiligt sein.3

Im Rahmen der gemeinsamen Endstrecke ermöglicht der aktivierte Gerinnungsfaktor Xa, dass Thrombin und Fibrin gebildet werden und letztlich der Fibrinthrombus (Wundverschluss) durch Vernetzung der Fibrinfäden stabilisiert wird.3

Abb. 2: Schematische Darstellung der Gerinnungskaskade
(Die Gerinnungsfaktoren sind mit römischen Ziffern bezeichnet)

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Copyright Dres. Schlegel + Schmidt Med. Kommunikation GmbH

Das fibrinolytische System sorgt dafür, dass nach Abheilen der Verletzung der normale Blutfluss wiederhergestellt wird.1 Sobald das Fibrinnetz nicht mehr notwendig ist, wird es enzymatisch, u. a. unter Einfluss von Plasmin, aufgelöst.3

Zusätzlich muss das Ausmaß der Blutgerinnung reguliert werden. Daher enthält das Blut sowohl gerinnungsfördernde als auch gerinnungshemmende Proteine, die bei Bedarf aktiviert werden. So wird die Bildung von Thrombin beispielsweise durch Antithrombin oder Protein C gegenreguliert. Aktiviertes Protein C führt auch dazu, dass die wichtigen Gerinnungsfaktoren FVIIIa und FVa inaktiviert werden.5

Störungen der Hämostase

Ein Ungleichgewicht im Gerinnungssystem kann zu übermäßigen Blutungen (hämorrhagische Diathesen) führen oder eine intravasale Gerinnung (innerhalb des Gefäßes) auslösen.3 Solche Störungen können angeboren sein oder sich erst im Laufe des Lebens bzw. in bestimmten klinischen Situationen entwickeln.3

Die Ursachen sind vielfältig:

  • Bei Fehlen oder mangelnder Funktion der Gerinnungsfaktoren VIII oder IX kommt es beispielsweise zur Hämophilie.
  • Wenn der Von-Willebrand-Faktor fehlt oder in seiner Funktion beeinträchtigt ist, kann sich ein Von-Willebrand-Syndrom manifestieren.
  • Ein Mangel an regulatorischen Proteinen oder Autoimmunerkrankungen können zu selteneren Störungen der Hämostase führen.

In der Symptomatik können sich Blutungsstörungen trotz verschiedener Ursachen sehr ähneln. Daher ist eine korrekte Diagnose von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass Betroffene die richtige Behandlung erhalten.6

Referenzen

  1. DePablo-Moreno JAD et al. The Vascular Endothelium and Coagulation:Homeostasis, Disease, and Treatment, with a Focus on the VonWillebrand Factor and Factors VIII and V. Int. J. Mol. Sci. 2022, 23, 8283. https://doi.org/10.3390/ijms23158283
  2. Mackman N, Tilley RE, Key NS. Role of the extrinsic pathway of blood coagulation in hemostasis and thrombosis. Arterioscler Thromb Vasc Biol. 2007 Aug;27(8):1687-93. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17556654/
  3. Larsen R. Blutgerinnung. Anästhesie und Intensivmedizin für die Fachpflege. 2016 Jun 14:276–81. German.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7531410/pdf/978-3-662-50444-4_Chapter_18.pdf
  4. Childers, KC, Peters, SC, Spiegel, PC. Structural insights into blood coagulation factor VIII: Procoagulant complexes, membrane binding, and antibody inhibition.
J Thromb Haemost. 2022; 20: 1957-1970. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/jth.15793
  5. Kolde HJ. Hämostase und Inflammation. Trillium Medizinischer Fachverlag 2014.
https://www.trillium.de/zeitschriften/trillium-diagnostik/archiv/ausgaben-2014/heft-4-2014/haemostaseologie.html; eingesehen 29.01.2024
  6. Srivastava A, et al. WFH Guidelines for the Management of Hemophilia, 3rd edition. Haemophilia. 2020: 00: 1–158. https://doi.org/10.1111/hae.14046; eingesehen 29.01.2024

EXA/DE/HG/0303